Aufenthaltsraum 2,5 Kilometer entfernt

Noch immer leben in Brünnen abgewiesene Asylbewerber unter Tage. Die Aufenthaltsdauer ist länger als geplant – und die Situation vor Ort wurde nur minimal verbessert.

Rückkehrzentrum Bern Brünnen
Im unterirdischen Rückkehrzentrum in Bern Brünnen leben die Bewohner im Durchschnitt über zwei Monate. (Bild: Manuel Lopez)

Eigentlich sollten die abgewiesenen Asylbewerber nur «einige Wochen» in der unterirdischen Unterkunft in Bern-Brünnen wohnen. So hatte es der Kanton in einer Medienmitteilung zur Eröffnung des Rückkehrzentrums letzten Dezember angekündigt. Doch die Bewohner leben deutlich länger im Zivilschutzbunker unter dem Coop-Verteilzentrum am westlichen Rand der Stadt Bern. 

Im Durchschnitt sind es 72 Tage, also mehr als zwei Monate. Das gab der Kanton Mitte Juni in einer Antwort auf eine Anfrage von Grossrätin Christa Ammann (AL) bekannt. Fast 80 Prozent der Bewohner – in der Anlage wohnen nur Männer – hätten sich mehr als 3 Wochen im Rückkehrzentrum aufgehalten.

Das kantonale Amt für Bevölkerungsdienste (ABEV) erklärt zu dieser Diskrepanz von Ankündigung und Realität, man stehe im Bereich des Wegweisungsvollzugs aktuell vor grossen Herausforderungen: Der Dublin-Vollzug nach Italien sei seit November 2022 komplett blockiert. Und Dublin-Rückführungen nach Kroatien seien nur mittels Sonderflug möglich. Zudem sei der Wegweisungsvollzug abhängig von der Zusammenarbeit mit den ausländischen Behörden und dem Kooperationswillen der ausreisepflichtigen Personen. «Diese Faktoren wirken sich auf die Anwesenheitsdauer der im Zentrum untergebrachten Personen aus und waren durch den Kanton so nicht prognostizierbar», so das ABEV.

Rückkehrzentrum Bern Brünnen
Neu haben die Bewohner einen oberirdischen Aufenthaltsraum. Dieser liegt aber nicht beim Rückkehrzentrum, sondern über zwei Kilometer entfernt im Quartierzentrum Tscharnergut. (Bild: Manuel Lopez)

Die lange Aufenthaltsdauer der Bewohner bekräftigt die Stadt Bern in ihrer Forderung nach einer oberirdischen Unterkunft. Laut der zuständigen Gemeinderätin Franziska Teuscher (Grünes Bündnis) sind Komplexität und Dauer bei Rückführungen von abgewiesenen Asylsuchenden ein Beleg dafür, dass «auch für Rückkehrzentren unterirdische Anlagen generell ungeeignet sind.» Allerdings wisse auch die Stadt, wie schwierig es sei, Unterkünfte zu finden. «Die Suche danach hätte deshalb in den Jahren mit tiefen Asylzahlen im Sinne einer Vorbereitung erfolgen sollen.»

Der Kanton lehnt eine Verlegung der Bewohner ab

Die Stadt Bern macht seit Eröffnung Druck, das unterirdische Rückkehrzentrum aufzulösen. Das hat der Gemeinderat vor einer Woche in seiner Antwort auf eine Motion von drei linksgrünen Stadtrat-Fraktionen bekräftigt. Sie forderten die Aufhebung des «unterirdischen Bunkers», zumal im Containerdorf auf dem Viererfeld noch freie Plätze vorhanden seien. Eine Verlegung der abgewiesenen Asylbewerber ins Containerdorf lehnt der Kanton aber strikt ab. Die klare Trennung von Asylsuchenden und Abgewiesenen habe der Grosse Rat beschlossen.

Bis eine andere oberirdische Alternative gefunden ist, will die Stadt die Situation für die Bewohner aber immerhin verbessern. So hatte Teuscher nach einem Augenschein im Rückkehrzentrum Brünnen den Kanton aufgefordert, den Bewohnern müsse ein oberirdischer Aufenthaltsraum zur Verfügung stehen und soziale Kontakte im Quartier sollten ermöglicht werden. 

Seit einigen Tagen können die Bewohner darum im Quartierzentrum Tscharnergut tagsüber Räumlichkeiten nutzen. Die betroffenen Bewohner wurden laut dem ABEV per Aushang und in persönlichen Gesprächen auf das neue «Rückzugsangebot» aufmerksam gemacht. Das Quartierzentrum liegt aber in 2,5 Kilometer Entfernung vom Rückkehrzentrum. Der kantonale Sicherheitsdirektor Philippe Müller sieht damit die Forderungen der Stadt erfüllt, wie er letzte Woche der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.

Rückkehrzentrum Bern Brünnen
Alle Behörden erachten das unterirdische Rückkehrzentrum, als nicht geeignet. Dennoch besteht es weiter. (Bild: Manuel Lopez)

Die Stadt hingegen ist noch nicht zufrieden. Franziska Teuscher sagt: «Ich würde mir wünschen, dass die im Rückkehrzentrum untergebrachten Personen oberirdische Aufenthaltsräume in unmittelbarer Nähe der Anlage hätten.» Die sich in unmittelbarer Nähe befindlichen oberirdischen Räume seien allerdings für eine gewerbliche Nutzung gebaut. «Ob da Möglichkeiten für Räume bestehen, müsste der Kanton mit dem Vermieter klären.»

Quartierzentrum hat die Stadt vermittelt

Den Kontakt zum Quartierzentrum habe die Stadt vermittelt, sagt Teuscher. «Dabei konnten die Verantwortlichen vonseiten Kanton mit dem Quartierzentrum Tscharnergut immerhin eine Lösung finden, damit den untergebrachten Personen Räume für Freizeit und Sport zur Verfügung gestellt werden können.» Das Quartierzentrum biete zudem soziale Kontakte. «Die Option mit dem Tscharnergut ändert aber nichts am Umstand, dass das derzeitige Rückkehrzentrum keine geeignete Struktur für die Unterbringung von Menschen ist», sagt Teuscher.

Auch das ABEV schreibt, der Kanton präferiere oberirdische Unterkünfte und das Zentrum Bern-Brünnen sei nicht für langfristige Unterbringungen vorgesehen. Allerdings habe man bis jetzt keine geeignete oberirdische Anschlusslösung gefunden.

Damit bleiben die Weggewiesenen vorerst unter Tage im Bunker wohnen, dürfen aber neu tagsüber 2,5 Kilometer weit weg einen Raum im Quartierzentrum nutzen. Ob sie das auch tun, kann der Kanton nicht sagen. «Ein Zwischenfazit an dieser Stelle wäre verfrüht» schreibt das ABEV.

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Diskussion

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Hanspeter Zaugg
01. Juli 2023 um 08:10

Es ist kalt in diesem Land

Esther Brunner
27. Juni 2023 um 07:36

Versprechen, welche nicht eingehalten werden und Menschen, wie du und ich, die in diesem Bunker leben müssen. Natürlich mit der Strategie, sie soweit zu bringen, dass sie "freiwillig" gehen. Wohin? ich habe ein Jahr lang in einem Bunker gearbeitet und weiss, wie die Menschen dort leben müssen. Ich hatte das Glück am Abend nach Hause gehen zu können.

Es gäbe Orte, wo die Abgewiesenen untergebracht werden könnten mit integriertem Aufenthaltsraum. Doch das will man nicht.

Barbara Keller
26. Juni 2023 um 14:00

Es darf nicht sein, dass Menschen in unterirdischen Bunkern einquartiert werden, insbesondere nicht, wenn oberirdische Alternativen zur Verfügung stehen. Die unterirdische Unterbringung ist nicht menschengerecht. Punkt. Daran ändert auch ein Aufenthaltsraum, der 2,5(!) Kilometer entfernt ist, nichts. Der Kanton muss endlich handeln.